Donnerstag, 6. Juni 2013

Aye! aYE! AYE!

Heute hieß es mal wieder: Lydia darf raus aus dem Keller! Und wenn sie da schon mal raus darf, dann schicken wir sie am Besten gleich ans ganz andere Ende der Stadt. Gesagt, Getan. Termin in Sighthill vereinbart. 
Während Almut mich gründlich auf meine Reise vorbereitete indem sie mir Karten von Googlemaps ausdruckte, von ihrer Cousine erzählte, die sich in Sighthill einmal nachts verlief, fragte, ob ich etwas zu essen dabei hätte und besorgt dreinschaute, als ich meinte, dass ich nichts dabei hätte, aber es da ja bestimmt einen Supermarkt geben würde, wurde mir langsam mulmig zumute. Würden meine Wasservorräte reichen? Passte die Alpakadecke noch in den Rucksack? Als mir gesagt wurde, dass ich die Collection Care Abteilung der Bibliothek besuchen würde, die etwas "außerhalb" liegt, hatte ich nicht damit gerechnet, dass man mich in der Wildnis aussetzen würde.
Zu meiner Beruhigung erschien dann aber Davy um 10:00 mit dem bibliothekseigenen Transporter um mich nach Sighthill zu bringen. Es gab anscheinend Straßen dort! Zivilisation! Davy, mein fahrender Ritter!
Die Fahrt nach Sighthill dauerte etwa eine halbe Stunde und die meiste Zeit wurde das Gespräch zwischen uns dadurch bestritten, dass ich Edinburgh, das gute Wetter oder Schottland im großen und ganzen lobte und Davy, je nach dem wie zufrieden er mit den Aussagen war, laut oder weniger laut AYE! sagte.
Zu Beginn fuhren wir noch durch das wunderschöne Edinburgh, passierten Häusersiedlungen und hübsche Vorgärten. Dann wurde es langsam ein bisschen weniger pittoresk. Und dann erreichten wir Sighthill. Ein Industriegebiet, das seiner Bezeichnung alle Ehre macht. (Bilder spare ich mir an dieser Stelle. Wir alle wissen wie Industriegebiete aussehen. Wer sich aber dennoch ein Bild von der Umgebung machen möchte, dem lege ich einen Besuch im Industriegebiet Klipphausen ans Herz.)
Aber was Sighthill an Schönheit fehlt, dass macht es mit seinen Menschen wieder wett. Ian und Kenny, die ihr kleines Reich am Rande Edinburghs auch gerne Gulag nennen, boten mir im Verlauf der Führung sicherlich 10 Tassen Tee an und gaben mir die Erlaubnis alles gesehene auch gerne in meiner Bibliothek umzusetzen. Eine sehr herzliche Geste in Zeiten der Copyright-Diskussionen.

Gefährlich.
Boxen in Rohform. Säurefrei. Feuer- und wasserbeständig.
Kenny zeigte mir das Programm, mit dessen Hilfe man unterschiedlichste Formen kreieren und anschließend aus der Pappe ausschneiden lassen kann. Natürlich mit Live-Vorführung! Wir  arbeiteten dann an dem Prototyp für Schallplattenboxen weiter, verbesserten und korrigierten und diskutierten über die passenden Schallplattenhüllen.

Auch keine Köpfe?
Es ist ein betriebsamer Ort, dieses Sighthillkabuff. Immer schneidet eine Maschine irgendetwas oder es wird irgendwo gehämmert. Aber sobald die lärmenden Maschinen kurz innehalten, schwebt der Klang der besten Hits der 60er, 70er und 80er durch den Raum und mit ihnen Kennys gefühlvoller Gesang. Er scheint jedes Lied zu kennen. Es ist seine Musik. Oder er arbeitet wirklich schon sehr lange dort.

Die Nationalbibliothek druckt ihren Namen gerne auf alles . Prägemaschinen  kommen deswegen gut an.
Früher wurden hier 600 Bücher in der Woche neu gebunden. Aber nur der Buckram ist geblieben. 

Um halb eins war dann Mittagszeit. Endlich! Ich war am verhungern! Also fragte ich Kenny nach einem Supermarkt in der Nähe und bekam nur einen mitleidigen Blick als Antwort. Ian schlug vor, ich solle mir doch bei einem schottischen Kiosk um die Ecke etwas Frittiertes kaufen, aber Kenny hatte schon entschieden, dass ich noch nicht bereit dafür war. Deshalb machte er mir eine Nudelsuppe. Die Gute von Sainsburys für 45 p.
Nachdem Kenny mich also vor dem Hungertod gerettet hatte, zeigte mir Ian noch diese und jene Maschine. Er demonstrierte mir wie sie alte Landkarten stärken und Hefte für Briefsammlungen nähen, wie die Boxen zusammengefaltet und die Schilder aufgeklebt werden.
Wahrend ich am Ende noch ein paar Bilder machte, gab sich Kenny wieder ganz selbstvergessen dem Entwerfen von Boxen und seinem Gesang zu "You'll never get to heaven if you break my heart" hin.
Und ich schlich mich, nachdem Davy mit einem mittellauten "Aye!" auf sich aufmerksam gemacht hatte, aus dem charmantesten, aber wohl aber auch am fürchterlichsten gelegenen Ableger der Nationalbibliothek.

Ich denke an Klorollen, aber das ist vermutlich falsch.
"You know, 90% of the library staff don't even know we exist."

PS.: Davy ließ es sich aufgrund des guten Wetters nicht nehmen mich einmal um den Holyrood-Park zu fahren. Als er auf dem höchsten Punkt der Straße kurz anhielt um den Anblick zu genießen, seufzte er ein leises "Aye!". Ich stimmte ihm lautlos zu.

Nicht der Holyrood-Park. Aber trotzdem gute Aussichten.

PPS.: Im Gewerbegebiet Klipphausen gibt es wenigstens einen chinesischen Imbiss. Mit einer wirklich guten Peking-Suppe.

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